6.9. Humanmedizin
J: Wir, als Studierende an der Freien Universität möchten mit unserem Projekt dazu beitragen, dass Fragen der Geschlechterforschung interdisziplinär in allen Fachbereichen diskutiert werden können. Im Rahmen von #4GenderStudies und eines Seminars zur Wissenschaftskommunikation haben wir uns damit auseinandergesetzt, wie wir als Studierende den Umgang mit Gender Studies wahrnehmen. Dabei ist uns aufgefallen, dass Geschlechterperspektiven nicht nur tief im zivilgesellschaftlichen Aktivismus wurzeln, sondern gleichzeitig von interdisziplinären Auseinandersetzungen leben. Das bedeutet nicht nur, dass Geschlechterforschung überall ein Fokus sein sollte, sondern auch, dass sich Gender Studies nur durch interdisziplinäre Forschung weiterentwickeln können. Dabei wird die Kategorie Geschlecht nicht isoliert betrachtet, vielmehr sehen wir die Notwendigkeit, intersektional weitere Kategorien einzubinden (wie beispielsweise Klasse oder race) und diese in Machtstrukturen eingebettet zu analysieren und zu kritisieren.
Das MvBZ hat in einer neuen OpenMic Veranstaltung verschiedene Professor*innen gefragt, inwiefern Geschlechterforschung in ihren Fachbereichen von Bedeutung ist. Wir als Studierende möchten das Projekt weiterführen und die Studierenden dieser Fachbereiche ebenfalls dazu befragen. Denn obwohl wir natürlich auch der Meinung sind, dass Geschlechterforschung wichtig ist, muss es Angebote, Raum und Offenheit geben, um die Möglichkeit für Auseinandersetzungen zu haben.
Deine Antworten werden anonymisiert veröffentlicht und dir vor der Veröffentlichung nochmal gezeigt und durch dich bestätigt. Ist das so okay für dich?
O: Ja.
J: ok perfekt. Erstmal zu dir: Was studierst du zur Zeit und an welcher Hochschule oder Uni? Im wievielten Semester befindest du dich gerade?
O: Ich studiere Humanmedizin an der Charité in Berlin. Ich bin im 10. Fachsemester und werde dieses Semester mein 2. Staatsexamen schreiben.
J: Wir haben ja in unserer Einleitung schon angesprochen, dass es uns in unserem Projekt um Gender Studies geht, dass aber nicht "nur" Geschlecht als Analysekategorie relevant ist, sondern auch andere Themen wie Intersektionalität, andere Diskriminierungsebenen und Machtstrukturen. Inwiefern hast du dich mit solchen Themen schon beschäftigt, ob studienintern oder -extern?
O: Viel. Ich habe vor dem Medizinstudium Philosophie und Kulturwissenschaft in Berlin im Kombibachelor studiert und im Rahmen dieses Studiums ging es viel um Fragen der strukturellen Diskrimierung und Macht-/Herrschaftsverhältnisse. Darüber hinaus bin ich seit einigen Jahren in linken/linksradikalen Gruppen politisch organisiert - auch in diesen Zusammenhängen geht es auf einer theoretischen, aber vor allem auch praktischen Ebene um Diskriminierungsformen und ihre Überwindung.
J: Wird sich in deinem aktuellen Studium mit diesen Themen auseinandergesetzt? Wenn ja, wie stehst du zur Anzahl der Angebote und Möglichkeiten zur Auseinandersetzung? Wenn nein, fehlt etwas an der Auseinandersetzung?
O: Im Medizinstudium kommt das Thema viel zu kurz. Es gibt ein Modul im 6. Semester, in dem es um "geschlechtsspezifische Erkrankungen" und damit zusammenhängend auch Gender-bezogene Themen geht. Allerdings ist die Auseinandersetzung mit der Thematik Trans, um ein Beispiel zu nennen, selbst sehr diskriminierend und von transfeindlichen Strukturen/Denkweisen durchzogen.
Eine Auseinandersetzung mit einer machtkritischen Perspektive auf Medizin im Kontext von Gesellschaft, wie Diskriminierungsstrukturen unser Nachdenken über und unser Handeln als Ärzt*innen/medizinisches Personal etc. prägen gibt es (fast) gar nicht.
Und wenn doch, dann oftmals eher durch/über studentische Initiativen (wie beispielsweise ein von Studis initiiertes Tutorium).
J: Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, beschäftigst du dich in deiner Doktorarbeit mit dem Thema Abtreibung. Willst du ganz kurz in zwei Sätzen sagen, was genau dein Thema ist und welchen Beitrag denkst du, könnten und sollten Gender Studies, aber auch intersektionale Studien in diesem Bereich leisten? Und warum ist das wichtig?
O: Abtreibung ist sowieso ein wichtiges Thema in dem Kontext, gut, dass du es ansprichst! Im Curriculum lernen wir nichts zum Thema, welche MEthoden es gibt, wie Abtreibungen medizinisch funktionieren/gemacht werden und das, obwohl es sich dabei um den am häufgisten durchgeführten gynäkologischen Eingriff überhaupt handelt. Das nur als Sidenote.
Ja, ich beschäftige mich in meiner Doktorarbeit mit der Frage, wie psychisch kranke Personen, die eine Abtreibung hattem, nicht nur in puncto psychische Erkrankung, sondern eben auch im Hinblick auf ihre Abtreibung, Stigmatisierung erfahren.
Die selbstbestimmte Entscheidung über den Abbruch oder die Fortführung einer Schwangerschaft ist in so vielerlei Hinsicht von immenser Bedeutung, gesellschaftspolitisch, medinisch, aber eben auch für die Forschung. Um diese Entscheidung selbstbestimmt und sicher treffen zu können, bruacht es nicht nur die Überwindung eines Klimas der Stigmatisierung, eines sofortigen Streichens dieses Eingriffs aus dem StGB, weitergehende Forschung für eine stete Verbesserung des medizinschen Procederes (es gibt bis dato z.B. noch keine festgelegte medizinische Leitlinie, was unglaublich ist!), sondern auch eine Überwindung derjenigen Strukturen, die schwangeren Personen ihre Selbstbetsimmung in der Entscheidung, ob sie die Schwangerschaft fortsetzen oder abbrechen wollen, zu nehmen versuchen. Das heißt sowohl z.B. einen Rassismus, der nicht-weiß positionierten Personen "nahelegt", sie sollen die Schwangerschaft abbrechen, als auch Diskurse/Institutionen/Staat etc., der Menschen verbietet, ihre Schwangerschaft zu beenden.
(ähm sorry, übelst schnell runtergeschrieben und auch bisschen an der eiegentlichen frage vorbei, befürchte ich)
Konkret sollten Gender Studies versuchen, einerseits diejenigen Diskurse sichtbar zu machen und zu analysieren, die dazu beitragen, diese auf vielerlei Weise unterlaufene Selbstbestimmung zu unterminieren, als auch sich um die Zusammenarbeit mit anderen Diszipilinen bemühen (Medizin, Recht...), da dieses Thema ein gutes Beispiel für die Mehrdimensionalität ist, welche Transdisziplinäres Forschen/Fragen/Denken notwendig machen.
J: Auf welchen Ebenen, denkst du, wäre es dementsprechend nötig, Intersektionalität und Auseinandersetzungen mit Machtstrukturen zu implementieren, um diesen Mehrwert zu erreichen? Also z.B. im Syllabus, in der Studiengangszulassung, im Miteinander zwischen Dozierenden und Studierenden...
O: ÜBERALL
ernst gemeint - auf allen Ebenen. Und in deiner Frage steckt ein entscheidender Punkt: Es muss um mehr gehen, als eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema.
Gleichzeitig finde ich es entshceidend, dass man sich der Grenzen des Intersektionalitäts-Begriffs bewusst wird.
Solange wir grundlegende Macht-/Herrschaftsstrukturen nicht verändern (können), die unser gesellschaftliches Miteinander entscheidend bestimmen (Produktions- und Reproduktionsverhältnisse --> Kapitalitmus), wird das Ringen um die Implementierung intersektionaler Perspektiven und das Bemühen, Diskriminierung möglicht klein zu halten, immer an Grenzen stoßen. (Was nicht heißt, dass wir dieses Ringen nicht auf uns nehmen sollten, aber unser Wirken sollte immer zum Ziel haben, diese grundsätzliche kapitalitische Verfasstheit zu überwinden).
J: Was denkst du, welchen Mehrwert kann die Auseinandersetzung mit solchen Themen nicht nur in deinem Studiengang, sondern auch allen anderen Studiengängen und Fachbereichen, also fürs Studium generell, haben?
O: Ähnlich, wie in meiner letzten Antwort würde ich sagen: Es hat einen großen Mehrwert und es hat klare Grenzen. Worüber wir hier sprechen, ist ja letztlich Bewusstseinsarbeit/Ideologische Schulung oder more bougie said: Bidlung. Als Personen, die sich viel mit diesen Themen auseinandersetzen, tendieren wir manchmal dazu, zu vergessen, wie wichtig diese Arbeit ist. Gleichzeitig ist die Tatsache, dass Herrschaftsverhältnisse, wie wir sie sehen, so unglaublich beständig sind, natürlich auch keine reine Bewusstseinsfrage. Ich denke, wir sollten also gleichzeitig Zeit und Energie darauf verwenden, "die Auseinandersetzung mit solchen Themen" zu verbreitern (gerne und unbedingt auch inneruniversitär), und zugleich darauf hinarbeiten, mehr als "Bewusstseinsarbeit" anzuvisieren und konkret Macht aufzbauen...
J: Dann noch eine letzte Frage: Wenn du versuchen würdest, es in einen prägnanten Satz zu fassen, was können intersektional praktizierte Gender Studies positiv zu deinem Studiengang beitragen?
O: puh, prägnante Sätze nicht mein Ding haha
warte, muss kurz nachdenken
Bestenfalls zur Ausbildung besserer Ärzt*innen beitragen, in dem Sinne, als dass die in der Medizin fast unhinterfragte Binarität von Geschlecht sowohl in der akademischen als auch praktischen/praktizierenden Auseinandersetzung sukzessive abgebaut wird und einem weniger zurichtenden Verständnis von Geschlecht Platz macht.
J: danke dir. Das wars auch schon :)