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6.4. Jura

M: Wir, als Studierende an der Freien Universität möchten mit unserem Projekt dazu beitragen, dass Fragen der Geschlechterforschung interdisziplinär in allen Fachbereichen diskutiert werden können. Im Rahmen von #4GenderStudies und eines Seminars zur Wissenschaftskommunikation des MvBZs haben wir uns damit auseinandergesetzt, wie wir als Studierende den Umgang mit Gender Studies wahrnehmen. Dabei ist uns aufgefallen, dass Geschlechterperspektiven nicht nur tief im zivilgesellschaftlichen Aktivismus wurzeln, sondern gleichzeitig von interdisziplinären Auseinandersetzungen leben. Das bedeutet nicht nur, dass Geschlechterforschung überall ein Fokus sein sollte, sondern auch, dass sich Gender Studies nur durch interdisziplinäre Forschung weiterentwickeln können. Dabei wird die Kategorie Geschlecht nicht isoliert betrachtet, vielmehr sehen wir die Notwendigkeit, intersektional weitere Kategorien einzubinden (wie beispielsweise Klasse oder race) und diese in Machtstrukturen eingebettet zu analysieren und zu kritisieren. 

Das MvBZ hat in einer neuen OpenMic Veranstaltung verschiedene Professor*innen gefragt, inwiefern Geschlechterforschung in ihren Fachbereichen von Bedeutung ist. Wir als Studierende möchten das Projekt weiterführen und die Studierenden dieser Fachbereiche ebenfalls dazu befragen. Denn obwohl wir natürlich auch der Meinung sind, dass Geschlechterforschung wichtig ist, muss es Angebote, Raum und Offenheit geben, um die Möglichkeit für Auseinandersetzungen zu haben.

Eure Antworten werden anonymisiert veröffentlicht und euch vor der Veröffentlichung nochmal gezeigt und durch euch bestätigt. Ist das so für dich in Ordnung?

L: Ja passt alles :)

M: Erstmal zu dir: Was studierst du zur Zeit und an welcher Hochschule oder Uni? Im wievielten Semester befindest du dich gerade?

L: Ich studiere Jura an der HU, zur Zeit im 6. Semester.

M: Wir haben ja in unserer Einleitung schon angesprochen, dass es uns in unserem Projekt um Gender Studies geht, dass aber nicht "nur" Geschlecht als Analysekategorie relevant ist, sondern auch andere Themen wie Intersektionalität, andere Diskriminierungsebenen und Machtstrukturen. Inwiefern hast du dich mit solchen Themen schon beschäftigt, ob studienintern oder -extern?

L: Ich beschäftige mich seit einigen Jahren mit Diskriminierungsformen und Machtsrukturen aller art. Hauptsächlich privat durch politische Arbeit oder Bücher, im Studium bisher wenig.

M: Wird sich in deinem aktuellen Studium mit diesen Themen auseinandergesetzt? Wenn ja, wie stehst du zur Anzahl der Angebote und Möglichkeiten zur Auseinandersetzung? Wenn nein, fehlt etwas an der Auseinandersetzung?

L: Jura ist nicht bekannt für kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftsrelevanten Themen, würde ich sagen. Das gesamte Studium ist für mich eher darauf ausgerichtet gesellschaftliche Missstände aufrecht zu erhalten, als diese zu bekämpfen, was auch Sinn macht, wenn mensch sich anguckt wer größtenteils Jura studiert und genau davon profitiert. Entsprechend findet wenig Auseinandersetzung statt, vereinzelt bieten Unis mittlerweile Antidiskriminierungsrecht oder Geschlechtergerechtigkeit als Seminare an, aber von einem intersektionalen Ansatz ist das weit entfernt.

Was alles nicht bedeuten soll, dass Jura sich nicht mit Themen auseinandersetzt bei denen eine intersektionale und diskriminierungskritischw Sichtweise relevant wäre, eher im Gegenteil: Jura beschäftigt sich durchweg mit gesellschaftsrelevanten Themen und durch die einseitig weiße cis het, zumeist männliche Perspektive die wir dabei einnehmen geht die Möglichkeit ein gerechteres Rechtssystem zu schaffen verloren.

M: Hat deine private Beschäftigung mit Diskriminierungsformen und Machtstrukturen deine Sicht auf dein Studium geändert? Oder beispielsweise dazu geführt, dass du während des Studiums einen bestimmten Schwerpunkt gelegt hast?

L: Meine private Beschäftigung mit diesen Themen hat dazu geführt, dass ich meine Lohnarbeit in diesem Bereich suche und zumindest am Anfang auch noch versucht habe das mit Jura zu verbinden. Langsam aber sicher werde ich aber doch eher desillusioniert, Uni Strukturen geben einfach selten den Raum um wirklich Veränderung zu bewirken.

Meine Sicht auf mein Studium hat meine private Beschäftigung mit diesen Themen insofern verändert als dass ich viele problematische Inhalte bemerke, mich auch gegen sie wehre, aber auch dazu dass ich mich einsam fühle. Im Jurastudium verbündete zu finden gestaltet sich für mich schwerer als ich zunächst dachte.

M: In den Interviews des MvBZs wird fachspezifisch bei Jura nach dem Zusammenhang zwischen Verfassungsrecht und Gender gefragt. Gab es ein Urteil oder einen Fall der diesbezüglich für dich besonders spannend oder wichtig war? Vielleicht ein Urteil, welches genau zeigt, dass eine Verbindung wichtig ist?

L: Ein Urteil fällt mir dazu nicht ein, aber Urteile rund um das Thema Femizide sind finde ich im Hinblick auf intersektionalität im Rechtssystem extrem relevant und zeigen recht spezifisch auf, wie race und gender häufig nicht zusammengedacht, sondern gegeneinander ausgespielt werden. Spezifisch erinnere ich mich dabei an ein Urteil, in dem ein Mann für Mord verurteilt wurde, in der Regel gilt bei femiziddn eher das Urteil totschlag, das deutlich sachter ist. Grob zusammengefasst wurde entschieden, dass der Mann aus nideren Beweggründen getötet hatte, mit Verweis darauf dass es sich um einen „Ehrenmord“ gehandelt hätte (dass es sich dabei um ein rassistisches Konstrukt handelt wurde selbstverständlich in kleinster Weise beleuchtet). Bei weißen Männern gilt Eifersucht oder Ähnliches im Kontrast als nachvollziehbarer Tötungsgrund, Mord ist entsprechend ausgeschlossen.

M: Danke, es wird also deutlich, dass eine Auseinandersetzung mit Gender und Intersektionalität im Jurastudium relevant ist. 

Welchen Mehrwert kann die Auseinandersetzung mit solchen Themen nicht nur in deinem Studiengang, sondern auch allen anderen Studiengängen und Fachbereichen, also fürs Studium generell, haben?

L: Ich muss ehrlich sagen, ich kann dir auf diese Frage gerade keine zufriedenstellende Antwort geben. Über die Jahre habe ich meinen Glauben an Uni als System eher verloren und den Eindruck gewonnen, dass Uni hauptsächlich dafür da ist Machtstrukturen aufrecht zu erhalten und sich möglichst elitär zu gestalten. Natürlich ist es mir trotzdem wichtig Uni kritischer zu gestalten, mehr Menschen mitzudenken und auch mehr Menschen in Entscheidungsprozesse usw zu inkludieren. Aber die Hoffnung dass Uni tatsächlich zu mehr Gerechtigkeit führen kann, bleibt bei mir aus.

M: Auf welchen Ebenen wäre es nötig, Intersektionalität und Auseinandersetzungen mit Machtstrukturen zu implementieren, um an den universitären Strukturen Veränderungen zu erreichen? Damit meine ich weniger Uni als System, sondern mehr bezogen auf den zweiten Teil deiner Antwort. Also z.B. im Syllabus, in der Studiengangszulassung, im Miteinander zwischen Dozierenden und Studierenden…

L: Auf Uni allgemein lässt sich das aus meinem Wissensstand schwer beantworten, aber auf Jura bezogen: es bräuchte kritische Lehrinhalte, einen überarbeiteten syllabus, neues Lehrpersonal, keinen NC, die Möglichkeit zu studieren und gleichzeitig zu arbeiten ohne direkt von den Mitstudent*innen abgehängt zu werden,  Jura sollte ingesamt mehr auf kritisch denken und eigene Meinungen bilden ausgelegt werden und weniger darauf, bestehende Systeme aufrecht zu erhalten.

M: Wenn du versuchen würdest, es in einen prägnanten Satz zu fassen, was können intersektional praktizierte Gender Studies positiv zu deinem Studiengang beitragen?

L: Würden intersektional das praktizierte gender Studies tatsächlich konsequent in meinen Studiengang eingebaut werden, dann würde das das gesamte System der Rechtswissenschaften positiv auf den Kopf stellen.