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3.4. Ausblick, Wünsche, was muss passieren? Reformen, Umsturz, Skepsis

Wie bereits beschrieben, zeigen die Ergebnisse der Befragung deutlich, dass Studierende die Relevanz von Gender Studies und Intersektionalität für ihre jeweiligen Fachbereiche erkennen und in manchen Studiengängen durchaus bereits eine gute und integrale Auseinandersetzung stattfindet. Es herrscht jedoch Uneinigkeit darüber, wie gut diese Themen in den Lehrplänen verankert sind. Kurse mit Gender- oder Intersektionalitätsbezug sind oft nur optional als Wahlmodule im Curriculum zu finden. Darüber hinaus gibt es auch kritische Stimmen, die darauf hinweisen, dass in vielen Studiengängen das Thema Gender sogar weitgehend ignoriert wird.

Diese Diskrepanz zwischen den einzelnen Studiengängen zeigt die Notwendigkeit, Gender Studies und Intersektionalität in den Lehrplänen besser zu verankern. Die Studierenden haben teilweise klare Vorstellungen darüber, welche Veränderungen erforderlich sind und wünschen sich eine tiefgreifendere Integration von Gender Studies und Intersektionalität in den Lehrplan. Die Wichtigkeit für die Fachbereiche ist den Studierenden durchaus bewusst und sie betonen, dass die Themen für alle Studiengänge Relevanz haben:

In meinen Augen hat jedes Fach, welches sich nicht mit solchen Themen auseinandersetzt, ein Defizit. (Interview 6)

Ziel dieser Befragung war es vor allem auch, die Wünsche der Studierenden zum einen bezüglich der Verknüpfung und Einbettung von Gender Studies sowie Intersektionalität in den jeweiligen Studiengängen der Studierenden, aber zum anderen auch hinsichtlich der Verbesserung von Universitätsstrukturen im Allgemeinen zu erheben.

Dazu haben wir die Studierenden gefragt, welchen Mehrwert die Auseinandersetzung mit intersektional praktizierenden Gender Studies im eigenen Studiengang aber auch fächerübergreifend haben könnte und was nötig wäre, diesen Mehrwert zu erreichen.

In den Interviews wurde deutlich, dass einige der befragten Studierenden ein großes Problem darin sehen, dass in einigen Fällen nach wie vor Diskriminierung im Studium stattfindet. Darüber hinaus sehen die Studierenden die Notwendigkeit, die Machtstrukturen an der Universität zu überdenken und fordern eine umfassende Auseinandersetzung bzw. formulieren den Wunsch, dass Machtstrukturen und deren Wirkungen und Dynamiken an der Universität dezidiert in den Fokus gerückt werden:

Ich habe den Eindruck, dass universitäre Strukturen oft etwas träge funktionieren und dass es auch innerhalb der Institute Machtgefälle gibt, grade auch zwischen den alteingesessenen Professor*innen und den jüngeren Dozierenden […] sowie den Studierenden. (Interview 2).

Die Studierenden betonen auch die Bedeutung von Schulungen für Professor*innen und Dozierende, um ein besseres Verständnis für Gender Studies und Intersektionalität zu fördern. Sie fordern ein Umdenken in der Lehrweise und eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Studierenden und Lehrenden:

Sowohl im Syllabus wie in der Zulassung wäre es notwendig, vor allem würde ich aber Schulungen auch von Profs (nicht von Lehrbeauftragten, außer die bekommen das als entlohnte Arbeitszeit) einführen. (Interview 13)

Andere Studierende wiederum sind der Meinung, dass die Universität als Ort der Aufrechterhaltung von ungleichen Machtstrukturen komplett reformiert werden muss. Hier wurde beispielsweise auch die Zulassung zum Studium genannt, da hier besonders marginalisierten Personen oft der Zugang verwehrt bleibt:

Ein Mehrwert wäre bestimmt der Abbau von Machtstrukturen und Diskriminierung und eine Verbesserung der Forschung durch erleichterten Zugang zu Strukturen. (Interview 5)

Einige der befragten Studierenden wünschen sich aber auch praktische Veränderungen innerhalb des Machtgefüges an der Universität und geschlechtergerechte Hochschulpolitik. Dies beinhaltet, um eines der genannten Beispiele zu erwähnen, die Problematik, dass MINT-Fächer nach wie vor männlich dominiert sind und einen Gender Bias aufweisen:

Gerade in der Physik, aber auch teilweise anderen Naturwissenschaften herrscht nach wie vor ein sehr hoher Männeranteil im Studium, was sicherlich stark mit dem Selbstverständnis/der Barrierefreiheit […] der Wissenschaft auf diesem Gebiet an sich zusammenhängt. Hier könnte ein Umdenken zu positivem strukturellen Wandel führen. (Interview 5)

Dies betrifft nicht nur die Studierenden selbst, „[w]enn es wirklich darum geht diskriminierende Strukturen aufzubrechen, dann müsste ein kritischer Blick überall in der Lehre verankert sein.” (Interview 6):

Es gibt glaube auch immer noch ziemlich Probleme für weibliche/flinta Personen die eine Professur wollen oder so. Sich da durchzuschlagen ist glaube immer noch ziemlich ätzend, weil es doch sehr Männer dominiert immer noch ist. (Interview 11)

Insgesamt wird jedoch klar, dass sich viele der befragten Studierenden eine grundlegende Veränderung der Universitätsstrukturen wünschen. Sie sehen die Universität als eine Institution, die Machtstrukturen aufrechterhält und fordern eine radikale Veränderung. Ein*e Interviewpartner*in drückt dies folgendermaßen aus:

Intersektional praktizierte Gender Studies könnten zu einem grundlegenden Hinterfragen der Strukturen des Faches und der Uni im Allgemeinen beitragen, was inshallah zur Folge hat, dass diese Strukturen radikal verändert werden. (Interview 6).

Die Studierenden erkennen jedoch auch die Herausforderungen und Grenzen, die mit der Implementierung von Gender Studies und Intersektionalität an der Universität verbunden sind. Sie stellen die Frage, wie weit diese Themen in einer vermachteten Gesellschaft wirklich umgesetzt werden können:

Also ich glaube nicht, dass die Uni als Staatsapparat in einer vermachten Welt auf einmal perfekt aka [bzw.] unvermachtet sein kann. (Interview 13)

Solange wir grundlegende Macht-/Herrschaftsstrukturen nicht verändern (können), die unser gesellschaftliches Miteinander entscheidend bestimmen (Produktions- und Reproduktionsverhältnisse --> Kapitalitmus), wird das Ringen um die Implementierung intersektionaler Perspektiven und das Bemühen, Diskriminierung möglichst klein zu halten, immer an Grenzen stoßen. (Interview 10)

Die Wünsche der Studierenden und die notwendigen Veränderungen werden im Kontext von Machtstrukturen an der Universität und der Universität als zugangsbeschränkte, elitäre Bildungseinrichtung besonders deutlich. Gender Studies und Intersektionalität können nach Meinung der Befragten aber dazu beitragen, diese Probleme anzugehen und Verbesserungen herbeizuführen. In den Interviews haben sich dazu einige Lösungsansätze abgezeichnet, die hier nochmals kurz zusammengefasst werden sollen:

Integration in den Lehrplan:

Viele der befragten Studierenden wünschen sich eine umfassendere Integration von Gender Studies und Intersektionalität in den Lehrplan. Wie einige der Befragten darstellen, bieten diese Ansätze theoretische Grundlagen und Werkzeuge, um bestehende Strukturen zu hinterfragen und zu verändern. Indem sie gender, race, class und andere Faktoren in ihren Analysen berücksichtigen, helfen sie, Diskriminierung sichtbar zu machen und aufzudecken. Außerdem können sie dazu beitragen, neue Perspektiven auf Ungleichheitsverhältnisse in der Wissensproduktion und epistemischer Gewalt, sowie Universität als Ort der Aufrechterhaltung eben dieser Strukturen zu erkennen und zu entwickeln. Deshalb sollten nach Angaben der befragten Studierenden diese Themen nicht nur in spezialisierten Seminaren behandelt werden, sondern in allen Fachbereichen präsent sein.

Ideen waren hier z.B. eine Implementierung dieser Themen in den Prüfungsordnungen der Grundmodule, eine stärkere Vermittlung von methodischen Kompetenzen zur kritischen Auseinandersetzung mit Wissensproduktion, eine Sensibilisierung des Lehrpersonals… (Interview 2).

Eine Veränderung sähe für mich erstmal so aus, dass sich das Denken von Menschen ändert, durch zusätzliches Wissen (zu den Themen Gender Studies, Intersektionalität,...) und dass sie dadurch z.B. erkennen in welchen gesellschaftlichen Machtverhältnisse sie leben und worauf diese begründet sind. (Interview 3)

Kritische Auseinandersetzung mit und praktische Veränderung von Machtstrukturen:

Die Studierenden beschreiben in vielen der Interviews, dass universitäre Strukturen oft von Machtgefällen geprägt sind. Hierbei spielen sowohl Geschlecht als auch andere Dimensionen wie race und class eine Rolle. Ein Großteil der Befragten fordert deshalb eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Strukturen und betont, dass ein Abbau von Machtstrukturen und Diskriminierung notwendig ist. Dies könnte z.B. durch Veränderung der Zulassungsregelungen, Barrierefreiheit, Schulungen für Professor*innen, transparente Personalpolitik und eine Sensibilisierung des Lehrpersonals, etc. erreicht werden. Hier einige Beispiele der Studierenden der verschiedenen Fachrichtungen:

Ich denke das Aufstellen von Verhaltenskodex im Umgang mit genderspezifischen/diskriminierungsbetroffenen Themen, verpflichtende Schulungen für Lehrpersonal, mehr Module und informelle Veranstaltungen zum Thema (letzteres ist schon relativ gut vertreten) wären hilfreich. (Interview 5)

Vielleicht könnte man so genderspezifische Perspektiven auch in organisatorische Aspekte des Studiums einbringen/ wie Seminare gestaltet sind, um die auch zugänglicher zu machen.
Z.B. dass zu Beginn des Semesters nach bevorzugten Pronomen gefragt wird oder auch dass reflektiert wird, wer sich im Seminar überhaupt traut, was zu sagen/ darauf geachtet wird, dass nicht immer nur cis Typen mega viel Raum bekommen für ihre Wortmeldungen. Auch dass Namensänderungen möglich sind auf Uni-Formularen wäre wichtig. Und mehr all gender Toiletten. (Interview 7)

Vernetzung und Zusammenarbeit:

Die Studierenden betonen die Bedeutung von Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Fachbereichen und Studierenden. Sie sehen darin eine Möglichkeit, Veränderungen einzufordern und eine kritische Auseinandersetzung mit den bestehenden Strukturen zu fördern:

Da das Geschlecht in vielen Teilgebieten unseres Lebens eine Bedeutung hat und Einfluss auf unser Handeln und unser Empfinden hat, ist es notwendig in unterschiedlichen Fachbereichen Geschlechter mitzudenken, damit auch alle gesellschaftlichen Gruppen mitgedacht werden. (Interview 9)

Auch ein Zusammenschluss von Studierenden kann helfen, Änderungen einzufordern, wenn sich am Institut wenig tut [...]. So eine Auseinandersetzung könnte natürlich auch auf Ebene der gesamten Universität stattfinden, wenn sich Gruppen und Studierende verschiedener Fachrichtungen vernetzen. (Interview 2)

Radikale Veränderung der Universität:

Einige Studierende sehen die Universität als eine Institution, die Machtstrukturen oft über Zugangsbeschränkungen, fehlende Barrierefreiheit, etc. aufrechterhält. Sie wünschen sich eine radikale Veränderung der Universitätsstrukturen, die auch die Gleichberechtigung aller Studierenden berücksichtigt. Sie erkennen, dass Gender Studies und Intersektionalität einen Beitrag dazu leisten können, Universität als diskriminierenden Ort zu erkennen und daraus weitere Schritte abzuleiten.

Es bräuchte kritische Lehrinhalte, einen überarbeiteten Syllabus, neues Lehrpersonal, keinen NC, die Möglichkeit zu studieren und gleichzeitig zu arbeiten, ohne direkt von den Mitstudent*innen abgehängt zu werden. (Interview 4)

Wenn wir die Uni als Ort der Wissensproduktion sehen, der als Teil einer Liberation gesehen werden soll und nicht als weitere Institution, die globale und lokale Machtstrukturen aufrechterhält, dann muss das ganze Ding mal umgekrempelt werden… (Interview 6)